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einem schrecklichen Saufteufel, zu mir flüchtete und ich sie wie
eine Schwester aufnahm und erquickte, mußte ich unwillkürlich
noch an jene Vesperstunde denken. Ach, es kommt alles wie-
der herum! Wir sollten daran denken in der Jugend, und wir
sollten daran denken, wenn’s uns gut geht. Es kommt alles
wieder herum.
Dankbare Erinnerungen bewahre ich aus jener schlimmen Zeit
noch an drei alte Frauen, und immer sind es die Oktoberstürme,
welche diese Erinnerungen, wenn sie einmal längere Zeit erloschen
schienen, wieder rütteln, wecken und anfachen.
4. Es war schon über die Mitte des Oktobers hinaus, als
ich noch mit einem großen Tagelöhnertrupp auf der großen Kar-
toffelbreite vor dem kleinen Hagen hockte. Rodemaschinen gab’s
damals noch nicht; die jüngeren Frauen, sowie die Burschen
und Männer rodeten mit der dreizackigen Grepe, und die alten
Frauen mit den Kindern lasen die Kartoffeln auf, indem sie auf
den Knien hinter den Rodern herrutschten, mochte der Boden
trocken oder naß sein. Wenn dann die Stürme, die sich vor
dem Hagenwalde stießen und gleichsam stauten, den Regen und
Reif zwischen uns peitschten und ich in meinem dürftigen Leinen-
rocke schwarz und blau fror und keinen Finger mehr krumm
machen konnte, dann haben mich die drei Alten allemal eng
zwischen sich genommen, mich rechts und links gedrückt und
gewärmt und mir alles vor der Hand weggelesen.
„Deine Mutter hat uns auch oft was Gutes getan,“ sagten
sie und erzählten so viel und mit so viel Liebe und Anhäng-
lichkeit von der Teuern, daß auch der schlimmste Tag, daß selbst
Eis und Schnee das Glücksgefühl in meinem Herzen nicht auszu-
löschen vermochten.
So war es eigentlich die Mutter, die mich wärmte, mich
tröstete; sie hatte sich in den Herzen der Frauen ein Kapital ge-
sammelt, von dem ich nun die Zinsen zog. Ach, welch ein Segen
ist doch eine gute Mutter! Wie nach Sonnenuntergang der Abend-
himmel noch lange in milder, schöner Glut steht, so steht das
Andenken einer edlen Mutter noch lange vor den Augen der
Lebenden, und der Segen ihres Lebens strahlt nach ihrem Tode
noch viel länger fort in dem Leben ihrer Kinder.
Heinrich Sohnrey (Friedesinchens Lebenslauf).
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Extrahierte Personennamen: Hagen Heinrich_Sohnrey Heinrich
81
Nachmittags drehte das Schiff bei, um zu loten. „Fünfzehn Faden;
Sand mit roten Steinchen!" lautete der Bericht des Steuermannes.
„Hurra!" jubelt die Mannschaft, „Borkum-Riff! Morgen sind wir
da und feiern Neujahr daheim."
Ja, es war deutscher Boden, den der mit Talg gefüllte, ausgehöhlte
Fuß des Lotes heraufgebracht hatte.
Von der Insel Borkum streckt sich ein schmaler Streifen nordwärts
fünf bis sechs Meilen weit. Er ist mit diesem rötlichen Sande bedeckt,
der sich sonst nirgends in der Nordsee findet. Dieser Streifen heißt
Borkum-Riff, und wenn die Schiffe ihn anloten, dann gibt er ihnen
genau ihre Lage an.
Deutscher Boden, Heimat — endlich, nach so langer, langer Zeit!
Wie freudig klopfen die Herzen!
Der Kapitän hat, auf dem Halbdeck stehend, die Meldung des
Steuermannes empfangen. O, auch er sehnt sich von Herzen nach der
Heimat, nach Weib und Kind, von denen er so lange getrennt gewesen.
Auch er hofft, das neue Jahr mit ihnen zu feiern, die in banger Sorge
seiner Rückkunft geharrt. Aber noch spiegelt sich auf seinem Antlitz keine
Freude; denn bange Zweifel verscheuchen sie.
Dort am Horizonte tauchen viele Segler auf. Er mustert jeden scharf
mit seinem Fernrohre, doch nirgends zeigt sich, was er so eifrig sucht.
Der Lotsenkutter mit der Flagge an der langen Stange, die ihn auf Meilen
kenntlich macht, befindet sich nicht unter ihnen.
Im Westen steigt langsam eine dunkle Bank drohend am Horizont
empor, und das Barometer fällt. Wie lange wird das gute Wetter noch
anhalten? Vielleicht bis zum nächsten Tage, vielleicht aber bricht auch
schon in der Nacht der Sturm wieder los, und wer sagt, mit welcher
Gewalt und Dauer in dieser Jahreszeit?
Für den Kapitän hat ja der Sturm sonst nichts Furchtbares. Wie
viele hat er in seinem Leben überstanden, wie viele selbst auf der letzten
Reise! Wie sie auch tobten — mit einem guten Schiffe unter den Füßen
nimmt der Seemann getrost den Kampf mit ihnen auf. Doch in engem
Fahrwasser, ohne Sonne und Mond, mit unbekannten Strömungen und
Untiefen, wie sie das Einlaufen in unsere nordischen Ströme so gefahr-
voll machen, und durch die nur ein erfahrener Lotse den Weg führen
kann — da hat eine dunkle, stürmische Winternacht ihre Schrecken.
Die Brise frischt auf. Unter ihrem Drucke jagt das Schiff schneller
und schneller durch die Fluten; aber auch jene finstere Bank steigt höher.
Einzelne Flecken reißen sich von ihr los und jagen wild über die graue,
bleierne Wolkendecke. Das Barometer bleibt im Fallen, und die Nacht
bricht herein.
Dietleins Deutsches Lesebuch Ausg. D Teil Iii. 8. Aust.
st
TM Hauptwörter (50): [T24: [Schiff Meer Insel Küste Land Fluß See Wasser Hafen Ufer], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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170
schlaf kann nichts anderes sein als eine Anpassungserscheinung;
er ist nicht plötzlich und auf einmal fix und fertig in die Welt
getreten, er hat wie jedes Ding seine Geschichte. Und die denke
ich mir etwa so: vor langer, langer Zeit - es ist ganz müßig,
dieselbe in Jahren ausdrücken zu wollen —, gegen Ende der
Tertiärzeit etwa, änderten sich, gleichgültig durch welche Ur-
sachen, die Witterungsverhältnisse auf Erden. Es wurde kälter
und kälter an den Polen, und sehr langsam, aber stetig eroberte
sich die Kälte äquatorwärts neuen Boden, - aber in einem
periodischen Wechsel von Vordringen und Zurückweichen, je
nach dem Stand der Sonne zur Erde. Mit jedem Male indessen
drang die Kälte etwas weiter und früher vor und wich etwas
weniger weit und spät zurück; der Winter wuchs unmerklich
während vieler Jahrtausende, er dehnte sich weiter nach dem
Äquator hin aus, und er dauerte länger. Sehr allmählich muß
dieser Prozeß vor sich gegangen sein, so allmählich, daß die
Ahnen unserer winterschlafenden Säugetiere in ihrer Körperbe-
schaffenheit eine so große Umwälzung durchmachten, daß diese
ihr zufolge Monate ohne Nahrung, fast ohne Stoffwechsel
überhaupt zubringen können. Welch lange Zeit gehört wohl
dazu, eine Fledermaus, ein fliegendes Tier mit höchster Lebens-
kraft, dahin zu bringen, daß sie aus einem gleichwarmen Tier für
längere Zeit ein Wechsel warmes wird, daß die Zahl ihrer Puls-
schläge von 200 in der Minute bei der wachenden auf 50 bei der
in Schlafzustande befindlichen herabsinkt, daß der Blutumlauf
in den Haargefäßen der Körperoberfläche aufhört, daß das Atmen
beim tiefsten Winterschlaf fast gänzlich eingestellt wird, so daß
sie ohne Schaden längere Zeit in unatembaren Gasarten gehalten
werden kann! Es ist dieselbe Geschichte wie mit Milo, dem
Athleten von Kroton, der ein Kalb von dessen Geburt an täglich
einige Zeit trug, bis es eines Tages ein Stier geworden war!
Viele Geschlechter von Fledermäusen hatten, als hierzulande
während des Winters eine Luftwärme herrschte wie heutigestags
in Süditalien, nicht nötig, lange und tief zu schlafen; nur selten
und nur wenige Tage hintereinander wurde ihnen die Nahrungs-
quelle abgeschnitten; aber von Geschlecht zu Geschlecht wurden
solche Tage häufiger und folgten dichter aufeinander, — und von
Geschlecht zu Geschlecht allmählich, ganz allmählich änderten
sich bei unseren Tieren die physiologischen und teilweise die
anatomischen Verhältnisse. Durch langwährende Vererbung wurde
der Winterschlaf ein Teil ihres Seins, und der Schlaftrieb über-
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206
sorgfältig, schaffen tote Kameraden hinaus, bessern an den Waben Be-
schädigungen aus und bringen Hunderte von herabgefallenen Wachs-
deckeln fort. Das ist ein Reinmachen, ein Fegen und Putzen im Innern
der Wohnung, als wenn ein großes Fest in Aussicht stände! Nun
kann es hinausgehen aus dem Winterquartier auf Besuch zu den
Blumen! Durch hochtönendes Freudengesumm und kreisendes Umher-
schwürmen geben sie ihr Wohlbehagen zu erkennen, wenn sie zum
erstenmal ihrer engen Haft entlassen sind und im Strahle der
jungen Sonne ihre Freiheit genießen können. Nun geht es zu
den Kätzchen der Haselnüsse und Weiden, zu Schneeglöckchen, Tulpen
und andern Blüten und Blumen, und vollbepackt wird der Heimweg
angetreten.
2. Das alles ist die Aufgabe der dienenden Arbeitsbienen. Die
Königin bekümmert sich um keine Maurer- und Bäckerarbeiten; sie ist
dauernd an das Haus gefesselt. In die kleinen Zellen, welche sie fertig
vorfindet, legt sie je ein Ei. Nach vier Tagen erscheint ans diesem die
Larve als ein geringeltes Würmlein, und am einundzwanzigsten Tage
schlüpft das ausgebildete Bienchen aus der Zelle. Wie liebevoll und
fleißig bemühen sich die ältern Geschwister um die Kleinen! Sie füttern
die Larven, liebkosen und putzen die Neugebornen und bereiten dann
die Zelle zur Aufnahme eines neuen Eies vor, vergessen dabei aber
auch nicht, die Königin zu streicheln und zu belecken und ihr reichliche
Nahrung zuzutragen.
Nach wenigen Stunden mischt sich die neugeborne Biene schon
unter die andern und findet ihre Beschäftigung als Hausmädchen. Sie
hilft beim Füttern, beim Reinhalten der Wohnung, beim Wegschaffen
von Brocken und bei ähnlichen Geschäften. Dabei wird sie selbst reich-
lich gefüttert. Nach einigen Wochen wird sie bei ihrer Hausarbeit von
den inzwischen gebornen jüngern Schwestern abgelöst. Nun fühlt sie
auch die Sehnsucht nach der Freiheit draußen. Als Laufmädchen fällt
ihr nun vorzüglich die Aufgabe zu, einzutragen, und das geschieht den
ganzen Sommer hindurch auf das fleißigste; nur an unfreundlichen,
regnerischen Tagen bleibt man zu Hause. Die Königin aber legt auch
in besondere Zellen Eier, aus denen sich nach einundzwanzig Tagen
Drohnen entwickeln. Ist das geschehen, so bauen die Arbeiterinnen sechs
bis zwölf große, flaschenförmige Zellen, in welche die Königin die Eier legt,
aus denen Königinnen entstehen. Diese Prinzessinnenwiegen werden be-
sonders sorgfältig gemacht und die jungen Larven mit besserer Kost genährt.
Nach sechzehn Tagen hat sich eine junge Königin entwickelt. Nun
gibt es großes Zerwürfnis in dem sonst so friedlichen und einträchtigen
Bienenstaate. Für zwei oder gar noch mehr Königinnen ist in ihm
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189
Seen Hunderttausende und aber Hunderltausende von Vögeln leben können,
welche der geringsten Annahme nach an Fischen allein täglich mehr als
30000 kg zu ihrer Nahrung bedürfen nülssen.
Dieses Zusammenleben der verschiedenen Vögel dauert beinahe die
ganze Winterzeit hindurch, bis die stärker werdende Frühlingsonne ein-
zelne vertreibt, andere aus dem Süden herbeizieht. Ende Februar schon
sammeln sich die Scharen zu Reisegesellschaften. Man sieht abends un-
geheure Züge von ihnen nach den Schlafplätzen stiegen; aber sie werden
mit jedem Tage schwächer. In eben dem Maße, wie die Sümpfe aus-
trocknen, verschwinden ihre Bewohner. Gegen die Mitte des März kommen
die Wanderer von Süden an: in dem Weizenfelde schlägt die Wachtel;
über der reifenden Ähre wiegt sich die Schwalbe; alle Gebüsche sind von
Sängern belebt. Anfang April verschwinden die letzten nordischen Gäste.
Diesen gewaltigen Sammelorlen der Wandervögel stehen die Gebirge
Südeuropas freilich nach; allein auch sie sind von großer Wichtigkeit für
unsere reisende Vogelwelt. Sofort nach Beginn des Zuges wandern ihnen
zahlreiche Scharen nordischer Vögel zu; an diesen Gehängen, welche die
selbst im Winter noch kräftige Sonne schneefrei erhalten hat, finden sie
passendere Wohnorte als an den oben erwähnten Seen.
Die größte Anziehungskraft üben die Wälder des innern Afrika mit
ihren Flüssen und Regenseen und den mit ihnen zusammenhängenden
Steppen; denn sie vereinigen in der Tat alles in sich, was einen Wanderer
einladen kann, wochen-, monatelang zu verweilen.
2. Das Innere Afrikas hat zwei Jahreszeiten, die der Dürre, welche,
streng genommen, unserm Winter gleichzuachten ist, und die Regenzeit,
welche nur mit unserm Frühlinge verglichen werden kann. Beide stehen
sich feindlich gegenüber; die eine vernichtet, die andere erzeugt; aber die
erzeugende Kraft ist mächtiger als die vernichtende. Die erstere ist das
Wasser, die letztere die Glut der Sonne und des aus Süden strömenden
Windes. Das Wasser ist es, welches die Urwälder ins Leben rief, aber
nicht das in Strombetten zusammengedrängte, sondern der während der
Regenzeit unter Donner und Blitz, Sturm und Windsbraut aus den in
grauenvolles Dunkel gekleideten Wolken herabstürzende Regen. Er ruft
ein Leben hervor, von dem sich nur derjenige, welcher ein Land unter den
Wendekreisen bereist hat, einen Begriff machen kann; er befähigt die seit
Monaten dürstende, vom Strahle der Sonne zerklüftete Erde zu neuem
Erzeugen. Märchenhaft übt er seine wohltätige Gewalt; wie ein mächtiger
Zauberer tritt er auf, um die verödete Flur zum Paradiese umzuwandeln.
Die ersten Tropfen wecken die Pflanzenwelt aus ihrem totenähnlichen
Schlafe, in welchen sie vorher die herrschende Dürre versetzte; schon nach
den ersten Güssen deckt ein grüner Teppich die früher verbrannte Erde;
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241
Ein kleines Beispiel mag uns helfen. Denken wir uns, wir sollten
von einer Ebene aus einen Hügel hinaufgehen. Der Hügel kann all-
mählich oder steil ansteigen. Zwischen dem Punkt, wo wir hundert
Meter über der Ebene stehen, und dem, wo wir zweihundert Meter
über der Ebene stehen, kann eine lange oder eine kurze Strecke liegen.
Die lange Strecke ist gleichbedeutend mit allmählichem, die kurze mit
steilem Anstieg. In beiden Fällen sagt man, der Hügel steigt so und
so viel Meter auf das Kilometer.
Auch ein Zyklon hat seinen Anstieg, natürlich nicht den eines festen
Hügels, aber den verschiedener Barometerhöhen. Das Barometer steht
in einem Zyklon immer tiefer als außerhalb desselben.
Der Unterschied zwischen dem niedrigeren Barometerstand an einem
Orte und dem höheren an einem andern wird aber nicht nach Metem
auf das Kilometer, sondern nach Millimetern auf das Zentimeter be-
rechnet. Denken wir uns, zwei Barometer würden in zwei, fünf Kilo-
meter voneinander entfernten Städten täglich beobachtet. An einem Tage
wäre der Barometerstand genau derselbe, d. h. das Quecksilber in beiden
stände gleich hoch. Dies bedeutet Windstille. Am folgenden Tage steht
ein Barometer 5 Millimeter höher. Dies bedeutet ein wenig Wind.
An einem andern Tage steht ein Barometer ein Zentimeter höher als
das andere; das ist ein steiler Anstieg und bedeutet Sturm.
Eines Tages steht ein Barometer gar vier Zentimeter höher —
ein furchtbar scharfer Anstieg, der einen Wirbelsturm bedeutet.
Solch große und rasche Wechsel innerhalb einiger Kilometer sind
in den gemäßigten Zonen unbekannt, in den tropischen Gegenden da-
gegen nichts Ungewöhnliches. A. Giberne (Das Luftmeer).
162. Das Lustschiff des Grafen Zeppelin
am 4. und 5. August 1906.
1. Am 4. August 1908 trat Graf Zeppelin mit seinem Aluminium-
luftschiff Nr. 4 die große Fahrt nach Mainz und zurück an. Das Deutsche
Reich hatte sich bereit erklärt, ihm seine Erfindung abzukaufen, wenn sich
auf dieser Fahrt die Leistungsfähigkeit seines Flugschiffes erprobte.
Am frühen Morgen des 4. August war der Graf von der Ballon-
halle in der Nähe von Friedrichshafen aufgestiegen, und sein Luftschiff
flog in etwa 100 Meter Höhe über den Vodensee auf Konstanz zu. Die
Bürgerschaft war hier früh aufgestanden und in großer Spannung.
„Zeppelin kommt!" riefen die Alten und die Jungen, als man das Fahr-
zeug erblickte, und das Hurra-Rusen und Tücherschwenken wollte kein Ende
nehmen.
Dietlcins Deutsches Lesebuch. Ausg. P. Teil Iii 3. Aufl. 16
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Extrahierte Personennamen: August August August Dietlcins_Deutsches
243
Hunderte heran, um das Luftschiff, welches dicht am Ufer ruhte, zu be-
trachten. Ihre Zahl wuchs von Minute zu Minute. Automobile, Fahr-
räder, Dampfer und Eisenbahnzüge führten von allen Seiten Neugierige
herbei. Und in der Tat, solange der Rhein seine Wogen meerwärts rollt,
hat man auf ihm und an seinen Ufern niemals ein interessanteres Schau-
spiel gesehen. Das Fahrzeug, welches hier aus der Luft niedergegangen,
ist der Vorläufer eines neuen, großen Zeitalters.
Nachdem fünf von den zwölf Begleitern des Grafen das Schiff ver-
lassen hatten und alle überflüssigen und entbehrlichen Gegenstände als
Ballast ausgegeben waren, stieg nach Eintritt der Nachtkühlung um 11 Uhr
abends das Luftschiff wieder auf. Tausend herzliche Wünsche folgten ihm,
und in einer halben Stunde wurde das Endziel der Fahrt, die Stadt
Mainz, glücklich erreicht. Unverweilt machte Graf Zeppelin Kehrt, um
rheinauswärts und schließlich über Stuttgart nach dem Bodensee zurück-
zukehren. Es war ein großartiger Anblick, als der riesige Segler der
Lüfte gegen 12 Uhr nachts wieder über Nierstein erschien. Tausende war-
teten am Ufer des Rheins auf seine Rückkehr. Ein ungeheurer Jubel
empfing die Reisenden. Ob der tausendstimmige Gruß da oben gehört
wurde? Nein, denn das Gesurre der Schrauben übertönt selbst in der
Stille der Nacht die Geräusche und Stimmen von der Erde her.
Wie ani Tage dein Rhein, so folgte in der dunkeln Nacht das Niesen-
schiff der erleuchteten Bahnstrecke. Bei Mannheim, angesichts der Tausende
von Lichtern des riesigen Rangierbahnhoses, gewahrten die sieben Luftfahrer
zu ihrem Schrecken eine neue Störung an der Maschinerie. Da schwand
ihre Hoffnung, in tiefer Nacht Stuttgart zu überfliegen und am Morgen
die Motor-Ballonhülle auf dem Bodensee zu erreichen.
Wiederum stieg das Luftschiff gegen den Willen seines Führers in
die Höhe: zuerst bis auf 1700, dann für eine kurze Zeit auf 1800 Meter.
Der einzige Motor vermochte das Höhensteuer nicht mit der nötigen Kraft
zu beeinflussen. Und doch ging's weiter, weiter unter den Sternen des
Himmels, bis die Lichter da oben erloschen, eins nach dem andern, und
fern am östlichen Himmelssaum aus goldenem Tor die Königin des Tages
hervortrat und die weite Welt mit dem Airblick ihrer Schönheit erfüllte.
Stuttgart! Es war 6 Uhr früh; aber in Erwartung der Rückkehr
Zeppelins waren die treuen Schwaben, alt und jung, heute schon auf den
Beinen, um ihrem ruhmreichen Landsmann, dem Eroberer der Lüfte, den
Rorgengruß zu bringen. „Heil, Zeppelin! Heil! Heil! Fahr wohl!"
Ein frommer Wunsch! Der leichte Südwestwind wird auf einmal
stärker, zu stark für den einen Motor, der ihm entgegenarbeitet. Da mußte
sich der kühne Luftschiffer entschließen, herabzugehen und zu landen. Wird
es auf festem Boden gelingen? Glück ab! Glück ab! — Und siehe: leicht
16*
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393
ungeheuren Sarge, wird es noch einmal gelingen, ihn zu sprengen
oder zu lüften? Nein! heult der Sturm, der über die weiße Fläche
jagt und mit Riesengewalt den Deckel niederhält, bis das zuckende
Leben, das drunten im Schnee sich regt, verhaucht ist.
So kommt der siebente Tag, und noch immer schneit und stürmt
es ohne Unterlaß; da endlich tritt die Ruhe ein; der wind verstummt,
-er Qimmel, der so niedrig war, daß man sich unter ihm schier bücken
mochte, beginnt, sich wieder hoch und luftig zu wölben — das erste
Blau, die erste Sonne glänzt; aber drunten liegt eine stumme, schnee-
begrabene Welt.
Der Winter hat seine Herrschaft erobert, und nun ist sie sein eigen;
schweigend trägt die Natur das Joch, in stummer Ergebenheit fügen
sich ihre Geschöpfe seiner grausamen wacht über Leben und Tod.
So zieht der Winter ein in die Berge.
3. Erst jetzt tritt auch der wensch vor seine Tür und sucht wieder
den weg ins Freie; denn während jener Sturmeswoche sah die Welt
wie entvölkert aus: tagelang sah man niemand auf der pfadlosen
Straße; der Bauer schloß sich in sein Gehöfte ein, wo die Weiber in
der Stube spannen und die Wänner auf der Tenne draschen, daß der
wind den einförmigen Taktschlag über den See trug. Jetzt aber gilt's
vor allem, wieder den weg zu bahnen; groß und klein, alt und jung
geht an die Arbeit, und als könnt' es nicht anders sein, legt' ich die
Feder fort und griff zur Schaufel, wie die Nachbarn mit ihren Dirnen
und Knechten.
Die erste und schwerste Arbeit muß der Schneepflug tun, der mit
acht, oft mit zwölf Pferden bespannt ist; bisweilen kommt es auch
vor, daß zwanzig bis dreißig der stärksten Rosse zusammengetrieben
werden, die nun bis an die Brust den Schnee durchwaten müssen und
so eine Bahn ausstampfen, die dann erweitert und verbessert wird.
Ununterbrochen ist nun der Fimmel klar und blau; kein Schnee
fällt mehr, denn der härteste Frost beginnt, und so ist in einigen Tagen
wenigstens die Bahn zwischen den nächsten Dörfern, die eine Stunde
weit im Umkreise liegen, fertig. Der Bauer aber steht unter der Tür
und reibt sich lachend die Hände: „Heut ist's kalt, das ist gescheit: da
friert's meine Knechte recht, wenn sie nicht arbeiten mögen."
Karl Stielet.
224. Zwei deutsche Berge.
1. Unter den zahlreichen Kegelbergen der Rauhen oder Schwä-
bischen Alb im südlichen Teile des Schwabenlandes sind besonders
zwei berühmt: der Hohenstaufen und der Hohenzollern.
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443
den Kopf hält und mega, mega (halt an) ruft, dann verwandelt
sich der Galopp in sausende Karriere. Ein sehr wohltuendes
Gefühl!
Die Räuber ließen sich nicht sehen; wie mir mein netter,
brauner Leutnant sagte, würden sie schon vor Tagesanbruch ge-
wußt haben, daß ich unter Bedeckung reiste, gewiß aber seien
welche von ihnen unter den würdig aussehenden, stattlichen
Bauern, die uns auf den Stationen aus den gestickten, bis zur
Erde gehenden Schafpelzmänteln ohne Ärmel ernsthaft betrachteten
und mit einem ehrenfesten „istem adiamek“ (gelobt sei Gott) be-
grüßten. Die Sonnenhitze war glühend den ganzen Tag, ich bin
im Gesicht wie ein Krebs so rot. Ich habe achtzehn Meilen in
zwölf Stunden gemacht, wobei noch zwei bis drei Stunden, wenn
nicht mehr, auf Anspannen und Warten zu rechnen sind, da die
zwölf Pferde, die ich brauchte, für uns und die Bedeckung erst
gefangen werden mußten. Dabei war vielleicht ein Drittel des
Weges tiefster Mahlsand und Dünen wie bei Stolpmünde.
3. Um fünf kam ich hier an, wo ein buntes Gewühl von Ungarn,
Slowaken, Walachen die Straßen belebt; Szolnok ist ein Dorf
von etwa sechstausend Einwohnern, aber Eisenbahn- und Dampf-
schiffstation an der Theiß. Die wildesten und verrücktesten
Zigeunermelodien schallen mir ins Zimmer; dazwischen singen
sie durch die Nase mit weit aufgerissenem Munde in kranker,
klagender Molldissonanz Geschichten von schwarzen Augen und
von dem tapferen Tod eines Räubers in Tönen, die an den Wind
erinnern, wenn er im Schornsteine lettische Lieder heult.
Die Weiber sind im ganzen gut gewachsen, einige ausge-
zeichnet schön; alle haben pechschwarzes Haar, nach hinten in
Zöpfe geflochten, mit roten Bändern darin; die Frauen haben ent-
weder lebhaft grünrote Tücher oder rotsammetne Häubchen mit
Gold auf dem Kopf, ein sehr schön gelbes, seidenes Tuch um
Schulter und Brust, schwarze, auch azurblaue, kurze Röcke und
rote Saffianstiefel, die bis unter das Kleid gehen, lebhafte Farben,
meist ein gelbliches Braun im Gesicht und große, brennend
schwarze Augen. Im ganzen gewährt so ein Trupp Weiber ein
Farbenspiel, das Dir gefallen würde, jede Farbe am Anzug so
energisch, wie sie sein kann.
Ich habe nach meiner Ankunft um fünf in Erwartung des
Diners in der Theiß geschwommen, Csardas tanzen sehen, be-
dauert, daß ich nicht zeichnen konnte, um die fabelhaftesten Ge-
stalten für Dich zu Papier zu bringen, dann Paprika-Hähndel, Stürl
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Trondhjem, und steigt man aus den ziemlich finsteren, engen
Tälern auf die Höhen, so wird es immer heller, je mehr der
Horizont sich erweitert.
Um Mitternacht, wenn in den gebirgigen Gegenden gegen
Westen noch die Abendröte sichtbar ist, während die Morgenröte
schon anfängt, einen hellen Sehein von Osten her zu verbreiten,
lagert sich eine seltsame, gelblichgraue Dämmerung auf die
ganze Gegend, die mit dem Nordlichte verglichen werden kann.
Alles ist in eine gleichmäßige Dämmerung gehüllt, von gleich-
mäßigem, fahlem Lichte beleuchtet. Kein Schatten ist sichtbar.
In dem schattenlosen Dä7nmer scheine herrscht die feierlichste Stille.
Die Häuser stehen klar vor Augen, in jedem Teile zu übersehen,
aber keine Bewegung ist zu spüren. Die Hunde bellen nicht,
die Vögel ruhen, alle Tiere u?id Menschen schlafen; nur das stets
bewegliche Wasser stömt rieselnd die Berge herunter, und das
Rauschen der Bäume säuselt fortdauernd in die erhabene Stille
hinein.
Aber von der eigentlichen arktischen Nacht erhält man auch
in Trondhjem noch keine richtige Vorstellung. Am Polarkreise
kann man die Sonne ein paar Wochen lang zehn Minuten vor
Mitternacht unter den Horizont sinken sehen, ein gedämpftes
Licht zurücklassend, als sei sie von einer Wolke verschleiert.
Zehn Minuten nach Mitternacht steigt sie so ziemlich an dem-
selben Nordpunkte wieder empor in erhöhtem Glanze. Während
der kurzen Zeit ihres Verschwindens macht sich ein Nachfrost
fühlbar, der durch ihre wiederkehrenden Strahlen sofort wieder
verscheucht wird. Eine Tagereise weiter nordwärts, einen Grad
innerhalb des arktischen Kreises, zeigt sich schon ein anderes
Bild, wenn das Wetter schön und der nördliche Horizont wolken-
frei ist. Die Sonnenscheibe, weniger rot als bei uns, senkt sich
zum Horizonte nieder, bis sie ungefähr dreimal ihren eigenen
Durchmesser von ihm entfernt ist; hier scheint sie ein paar Minuten
stillzustehen, um sich dann wieder zu erheben und östlich vorwärts-
zubewegen. Sonnenlicht und Hitze sind in solchen Nächten so
stark, daß gewöhnlich Sonnenschirme in Gebrauch genommen
werden. Ja, wenn die Luft unbewegt ist, kann man durch
gewöhnliche Brenngläser in wollene Kleidungsstücke Löcher
brennen oder Pfeifen anzünden; doch kann man die Sonne, wenn
auch mit einiger Schmerzempfindung, im Auge behalten.
2. Je weiter nordwärts, um so höher ist der tiefste Punkt
des Niedergang es der Sonne. Zu Tromsö bleibt sie in einer
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